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Integrationsbedarf beim Requirements Engineering

Die Erfassung und Verwaltung von Anforderungen ist Grundlage für das Systems Engineering. Auf der REConf 2013 konnten sich Unternehmen darüber informieren, wie sie das Requirements Engineering nachhaltig in ihren Organisationen verankern. Viel zu tun gibt es – das machte die gut besuchte Veranstaltung in München deutlich – bei der Integration des Requirements Engineerings in die PLM-Lösungen und die durch sie unterstützen Produktentwicklungsprozesse. von Michael Wendenburg (www.wendenburg.net)

Die REConf ist europaweit die größte und bedeutendste Tagung zum Thema Requirements Engineering (RE). Ausgerichtet wird sie seit nunmehr 12 Jahren von der HOOD GmbH, die nationale und internationale Unternehmen bei der Verbesserung ihrer RE-Prozesse berät. „Achieving Sustainable Requirements Engineering“ lautete das Leitmotiv der diesjährigen Veranstaltung, mit dem nicht alle Teilnehmer auf Anhieb etwas anfangen konnten. Gemeint war die nachhaltige Etablierung des RE und der entsprechenden Methoden in den Unternehmensprozessen, wie Gabriele Leibmann, Projektleiterin der REConf erläuterte: "Ein entsprechendes Tool anzuschaffen heißt ja noch nicht, dass man ein sauberes Requirements Engineering betreibt."

Wer die Veranstaltung zum ersten Mal besuchte, war überrascht, wie groß das Interesse an einem Thema ist, das nur die linke obere Spitze des (auch auf der REConf) viel bemühten V-Modells der Produktentstehung einnimmt: Referenten und Vertreter der rund 40 Aussteller eingerechnet, besuchten mehr als 450 Teilnehmer die viertägige Veranstaltung, die seit mehreren Jahren im nh Hotel in München Dornach ausgerichtet wird. Darunter viele „Wiederholungstäter“, wie HOOD-Geschäftsführer Rupert Wiebel im Grußwort schrieb – ein Zeichen dafür, dass die REConf von den Anwendern als Plattform für das Networking und den Erfahrungsaustausch verstanden wird. "Für viele Teilnehmer ist das wie ein Familientreffen", so Leibmann.

 

RE-Erfahrungen aus der Praxis

Ungeachtet der Tatsache, dass die Besucherschar in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und ihre Zusammensetzung heterogener geworden ist, handelt es sich um eine eingeschworene Gemeinschaft von Spezialisten für das Anforderungsmanagement im Software und Systems Engineering aus ganz unterschiedlichen Branchen. Zielgruppe der Veranstaltung sind neben den Praktikern auch Teilnehmer, die sich über die Methoden des RE oder neue wissenschaftliche Ansätze informieren wollen. So gab es insgesamt acht Workshops zu unterschiedlichen Themen, beispielsweise über die Dokumentation funktionaler Anforderungen mit Hilfe von Use Cases oder die Ermittlung, Dokumentation und Test von nichtfunktionalen Anforderungen. Außerdem standen am ersten Abend drei parallele Wissenschaftstracks mit insgesamt neun Vorträgen auf dem Programm.

Die beiden zentralen Veranstaltungstage gliederten sich in je vier Vortragsreihen (tracks) zu verschiedenen Themenschwerpunkten, die von einem unabhängigen Programmausschuss festgelegt werden. Die Teilnehmer konnten sich beispielsweise gezielt über nachhaltiges oder agiles RE informieren, über das Zusammenspiel von Anforderungen, Varianten und Änderungen, über Werkzeuge zur Unterstützung des RE oder über praktische Erfahrungen aus den Unternehmen. So berichtete Gerd Maier, Leiter Quality und Requirements Management beim Schweizer Schienenfahrzeughersteller Stadler über den Aufbau eines (Excel-basierten) Anforderungs- und Nachweismanagementsystems, mit dem das Unternehmen versucht, der wachsenden Anforderungsflut Herr zu werden. Auslöser des Projekts war übrigens die Erfahrung, dass eine in der Schweiz zugelassene Lokomotive nicht im grenzüberschreitenden Verkehr mit Frankreich eingesetzt werden konnte, weil dort andere Anforderungen hinsichtlich Crash-Sicherheit gelten. Stadler habe durch das systematische RE die Fehlerrate reduzieren und die Umsetzung im Engineering beschleunigen können, berichtete Maier. Das deckt sich mit den Ergebnissen einer unlängst von der Firma HOOD durchgeführten Anwenderbefragung: Bei 69% der Unternehmen, die RE einsetzen, hat sich die Produktqualität verbessert.

Unzufrieden mit den Werkzeugen

Dass Anforderungen -wie bei Stadler - mit Excel & Co. erfasst und verwaltet werden, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Mit einem Anteil von 24% sind MS Office-Anwendungen die am weitesten verbreiteten Werkzeuge für RE bzw. Requirements Management (RM). Auch das hat die Anwenderbefragung ergeben. Zum Teil hängt das sicher mit den knappen Budgets zusammen:

In 54% der Unternehmen hat das Management zwar das hehre Ziel, RE nachhaltig in der Organisation zur verankern, aber nur 17% von ihnen stellen dafür ein eigenes Budget bereit. Und das wird dann oft noch für ein vergleichsweise teures und nur schwer in die Unternehmensprozesse zu integrierendes Tool wie IBM DOORS ausgegeben. Es rangiert mit 22% auf Platz zwei der Werkzeugliste.

Von daher ist nicht verwunderlich, dass die RE-Werkzeuge die hohen Erwartungen der Anwender nicht immer ganz erfüllen: 19% der Anwender sind mit ihren Tools unzufrieden oder sogar so unzufrieden, dass sie sie auswechseln möchten. 62% finden sie lediglich akzeptabel. Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Integration oder wie der RE-Kompass es ausdrückt: "Das RE-Tool von morgen ist hochgradig kompatibel zu Werkzeugen anderer Disziplinen!" Dahinter verbirgt sich eine klare Anforderung: Schnittstellen wünschen sich die Anwender vor allem zum Testmanagement, zum Änderungsmanagement, zum Projektmanagement und zur Konstruktion.

Auch die Kommunikation der RE-Tools untereinander war mangels entsprechender Standards früher alles andere als einfach. Inzwischen haben die ersten Software-Hersteller den internationalen ReqIF-Standard erfolgreich in ihre Lösungen implementiert, wie Achim Seibertz (PROSTEP AG) und Bertil Muth (HOOD GmbH) in ihrem gemeinsamen Vertrag erläuterten. Automobilhersteller BMW wird den Standard unter anderem für den Austausch der in DOORS erfassten Anforderungsinformationen mit den Zulieferern nutzen, so dass diese nicht mehr zwingend dieselben RE-Tools einsetzen müssen. Ob die Anforderungen mit Hilfe von RecIF auch in der PLM-Lösung abgebildet werden sollen und welche Lösung das sein wird, wollten Dr. Andreas Penka und Florian Rank, die beiden Referenten von BMW, nicht verraten.

PLM-Integration noch kein Thema?

Viele der oben erwähnten Schnittstellen würden sich durch die Einbindung des Anforderungsmanagements in das Product Lifecycle Management (PLM) bzw. die entsprechenden Lösungen erübrigen. Kurioserweise spielte das Thema Prozessintegration und PLM in den Vorträgen auf der diesjährigen REConf eine eher untergeordnete Rolle. Das Desinteresse scheint ganz auf Gegenseitigkeit zu beruhen: Von den führenden PLM-Herstellern waren nur zwei auf der Veranstaltung als Aussteller vertreten, nämlich Dassault Systèmes und PTC. Wobei sich PTC eigentlich als Anbieter der ALM-Lösung (Application Lifecycle Management) Integrity präsentierte, die man vor zwei Jahren übernommen hat.

Eine Lanze für die Integration des Anforderungsmanagements (AM) in PLM brachen Dr. Martin Langlotz und Johannes Ley von der :em engineering methods AG in ihrem interessanten Vortrag über das Anforderungsmanagement in Mechanik und Elektrik/Elektronik (E/E), in dem sie auch zwei Lösungsszenarien präsentierten. AM sei keine einmalige, sondern eine ständige Aktion und erfordere deshalb ein fortlaufendes Änderungsmanagement. Deshalb müsse es nicht nur organisatorisch, sondern auch von den Tools her besser integriert in die Unternehmensprozesse integriert werden.

In vielen Unternehmen leben die RE-Spezialisten in einer Welt für sich - sozusagen hinter geschlossenen DOORS. Selbst mit den Kollegen, die für die Sicherheitsanforderungen zuständig sind, tauschen sie sich oft wenig aus. Das sagte kein geringerer als Colin Hood, Gründer und früherer Inhaber der HOOD GmbH in seiner unterhaltsamen Keynote zum Abschluss der Veranstaltung. Dabei klang das Thema ziemlich trocken: RE in Safety Critical Environments; deriving requirements from ISO26262. Auch wenn die Beurteilung von Risiken und Gefahren Spezialisten erfordere, so Hood, müssten ihre Anforderungen von Anfang an in das RE integriert werden. Es gibt also reichlich Integrationsbedarf.

Mehr dazu vielleicht auf der nächsten REConf, die vom 17. bis 20. März 2014 wieder in München stattfinden wird.